mündlich
Antrag: | „Datenschutz ist der neue Umweltschutz“ |
---|---|
Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 07.04.2016) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 07.04.2016, 16:44 |
Antrag: | „Datenschutz ist der neue Umweltschutz“ |
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Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 07.04.2016) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 07.04.2016, 16:44 |
eine Bedrohung für unsere offene Gesellschaft dar. Einschüchterungen und Straftaten, müssen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt werden, außerdem muss zivilgesellschaftliches Engagement im Kampf gegen Hate Speech gestärkt werden. Der Ausweitung der privaten Rechtsdurchsetzung wiedersprechen wir, stattdessen braucht es einen Ausbau der Kapazitäten und gezielte Schulungen bei Polizei und Staatsanwaltschaften in diesem Bereich,. Zudem braucht es einfachere Wege solche Inhalte zu melden und anzuzeigen und eine Bundesregierung die es nicht länger verpasst,
„Datenschutz ist der neue Umweltschutz“
Informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht und essentiell, um die Privatsphäre und
die Entfaltung jedes Menschen zu schützen und zu ermöglichen. Trotzdem wird gerade aus
Reihen der Bundesregierung immer wieder der Datenschutz offen in Frage gestellt und ein
vermeintlicher Gegensatz von Datenschutz und wirtschaftlicher Entwicklung konstruiert. Zudem
wird der Schutz persönlicher Daten als Hemmnis einer guten Sicherheitspolitik dargestellt.
Dies erleben wir gerade dieser Tage. Das Schema ist ein altbekanntes: Ein terroristischer
Anschlag wird genutzt, um an der Sicherheitsschraube zu drehen und unseren Rechtsstaat
konstituierende Freiheitsrechte offen in Frage zu stellen. Wenn der für den Schutz unserer
Verfassung zuständige Minister zu Protokoll gibt, dass Datenschutz schön sei, aber in
Krisenzeiten und darüber hinaus Sicherheit Vorrang habe, offenbart dies ein krudes
Rechtsstaatsverständnis, dem wir uns als Grüne entschlossen entgegenstellen.
Wer, um von eigenen Versäumnissen der letzten Monate abzulenken, Freiheits- und Grundrechte
wie den Datenschutz offen in Frage stellt, hat nicht ansatzweise verstanden, worum es den
Terrorist*innen geht, nämlich darum, unsere Gesellschaft zu spalten und die Freiheit und
Offenheit unserer Demokratien anzugreifen. Die Antwort auf Hass und Terror kann und darf
daher niemals Demokratieabbau und Krieg, sondern nur noch mehr Rechtsstaatlichkeit,
Entschlossenheit, Freiheit und Toleranz sein.
Der Datenschutz - in der digitalen Realität unserer von Algorithmen zunehmend geprägten
Gesellschaft ein noch essentielleres Freiheitsrecht denn je - schützt den/die EinzelneN vor
unternehmerischer und staatlicher Ausspähung. Ein Hindernis für eine effektive
Sicherheitspolitik ist er, zumindest in demokratischen Rechtsstaaten, nicht. Stattdessen
stellen verlässliche und hohe, einheitliche Datenschutzstandards die Voraussetzung für eine
gute und akzeptierte Arbeit von Polizei und Sicherheitsbehörden dar. Es ist nötig, endlich
die zielgerichtete Verfolgung von Terrorverdächtigen zu verbessern und dafür mehr Personal
bereitzustellen.
Die Bundesregierung hat noch immer nicht erkannt, dass anlasslose Datensammlungen, erhoben
etwas im Rahmen von Vorratsdatenspeicherungen, durch Bankdatenabgleiche oder durch
Flugpassagierüberwachungen, nicht dazu geführt haben, die Sicherheit vor Anschlägen zu
erhöhen, im Gegenteil: Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, das ist eine bittere Erfahrung
aus den Anschlägen von Paris und Brüssel, wird für die Ermittler*innen immer schwieriger,
die Lage in einem Meer aus Information immer unübersichtlicher.
Längst haben höchste Gerichte dieser Praxis präventiver, unserer Rechtsordnung fremder,
anlassloser Datenspeicherungen mit Hinweis auf deren Unvereinbarkeit mit geltenden
Grundrechten eine klare Absage erteilt. So ist die Rechtsprechung längst zu einem Korrektiv
einer grundrechtsgefährdenden weil oft unverhältnismäßig agierenden Gesetzgebung der Großen
Koalition geworden. Dabei wäre es ihre originäre Aufgabe, den Grundrechtsschutz zu
gewährleisten und angesichts der massiven Bedrohungen der informationellen Selbstbestimmung
rechtliche Sicherungsmechanismen wie beispielsweise den Art. 10 GG auszubauen. Dies würde
nicht nur zu einem höheren Grundrechtsschutz der Bürger*Innen, sondern auch zu mehr Daten-
und Rechtssicherheit für die Unternehmen führen.
Datenschutz made in Germany
Datenschutz und wirtschaftlicher Erfolg sind keineswegs Gegensätze. Datenschutz und
Datensicherheit sind für die große Mehrheit der Unternehmen vielmehr von essentieller
Bedeutung und eine Zukunftschance für hiesige Unternehmen, die auf ein großes Know-How von
IT-Sicherheitslösungen made in Germany zurückgreifen können. Mit Ausnahme der wenigen
internationalen Akteure, die mit unseren Daten unvorstellbar viel Geld verdienen, wird das
Fehlen von Rechtssicherheit und Standards ganz überwiegend als Hemmnis der wirtschaftlichen
Entwicklung wahrgenommen.
Mehr noch: Datenschutz und Datensicherheit können eine, das haben die letzten Monate
eindrucksvoll gezeigt, sehr erfolgsversprechende Wirtschaftsstrategie sein. Selbst große US-
Konzerne haben zuletzt die marktstrategische Bedeutung von IT-Sicherheit und dem Schutz
persönlicher Daten erkannt. Sie verlegen ihre Rechenzentren auf den Europäischen Kontinent
und wehren sich öffentlichkeitswirksam gegen die staatliche angeordnete Entschlüsselung von
Mobiltelefonen in den USA. Der Grund ist sehr einfach: Vertrauen ist nicht nur gut für die
Akzeptanz neuer, digitaler Angebote, sondern auch gut für Geschäfte. Dieses Vertrauen
besteht in den USA aufgrund der Enthüllungen Snowdens und Verpflichtungen aufgrund von
intransparenten Entscheidungen von Geheimgerichten nicht mehr. In Deutschland gehören
durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung noch immer nicht zum Standard bei großen IT-
Projekten. Hierfür haben wir uns als Grüne immer wieder eingesetzt und auf die Bedeutung
vertraulicher Kommunikation hingewiesen. Einige Unternehmen haben die Bedeutung sicherer
Verschlüsselungslösungen mittlerweile, anders als die Bundesregierung, erkannt und werben
offensiv mit einer „Cloud made in Germany“. Diese Beispiele zeigen, dass wir in unserem
Ringen nach mehr Datenschutz und Datensicherheit immer mehr Verbündete haben. Noch wichtiger
ist die Erkenntnis, dass Deutschland und Europa tatsächlich relevante Standards setzen und
diese zukünftig hoffentlich auch durchsetzen können. Wir sollten daher Datenschutz und
Datensicherheit zu einem Markenkern unseres Wirtschaftsstandorts machen. Hierfür bedarf es
neben einer Stärkung bestehender Aufsichtsstrukturen, einer größeren Unterstützung der
wichtigen Arbeit der Verbraucherzentralen auch der Unabhängigkeit des noch immer dem
Bundesinnenministerium unterstellten Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.
Zudem brauchen wir eine anpackende Umsetzung der EU-Datenschutzreform in bundesdeutsches
Recht samt Nutzung bestehender Gestaltungsspielräume, beispielweise bezüglich eines
effektiven Beschäftigtendatenschutzes. Hier liegt eine wahre Mammutaufgabe vor uns. Genauso
müssen wir bestehende wettbewerbs-, kartell- und fusionsrechtliche Regelungen dahingehend
weiterentwickeln, dass zukünftig die Rolle monopolartiger Anbieter mit extrem hohen
Datenkonzentrationen stärker berücksichtig wird.
Wir treten weiterhin für hohe Datenschutzstandards beim Datenaustausch mit Drittstaaten ein,
die auch tatsächlich als Rechte ausgestaltet sind. Unser Verständnis des Datenschutzes als
Grundrecht muss auch in diesen Abkommen zum Ausdruck kommen. Das hat zuletzt der Europäische
Gerichtshof in seinem Urteil zum „Safe Harbor“-Abkommen unmissverständlich klargemacht. Das
Urteil war nicht nur wie bereits zuvor das Urteil zur EU-Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie
eine weitere wichtige Grundsatzentscheidung. Das Urteil war auch eine schallende Ohrfeige
für die Bundesregierung, die, trotzt des Umstandes, dass wir immer wieder vor genau dieser
Entwicklung gewarnt haben, bis zuletzt an dem klar rechtswidrigen Abkommen festgehalten hat.
Die nach dem Urteil des höchsten europäischen Gerichts entstandene Rechtssicherheit geht
somit voll auf ihr Konto. Sollte das nun vorgelegte „Privacy Shield“ erneut vom EuGH
kassiert werden, hat sie die erneut entstehende Rechtsunsicherheit zu verantworten.
Mit Datenschutz schwarze Zahlen schreiben
Schon jetzt werden von europäischen Unternehmen mit Soft- und Hardware basierter
Sicherheitstechnik Milliarden umgesetzt. Diese Technik dient auch dem Schutz der Daten der
Verbraucher*innen und Verbraucher bei der Verwendung vernetzter Geräte und wird in diesem
Sinne beworben. Wir sind überzeugt, dass wie bei den Umwelttechnologien auch Produkte, die
Datenschutz und Datensicherheit in besonderer Weise gewährleisten, Exportschlager sein
können. Das bedeutet, dass wir den Mittelstand in punkto IT-Sicherheit voranbringen und
damit zukunftsfähig machen müssen. Auch Startups, die bewusst in entsprechende Lösungen
investieren, müssen sehr viel stärker unterstützt werden als bisher.
Wir wollen die rechtlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass Verbraucher*Innen in die
Lage versetzt werden, bewusste Kaufentscheidungen zu treffen und so datenschutzkonforme und
-sichere Produkte auszuwählen. Hierfür ist es von Nöten, mehr Transparenz, beispielsweise
bezüglich eingesetzter Algorithmen, zu schaffen. Angelehnt an die Energieeffizienzklassen
von Haushaltsgeräten soll eine entsprechende Klassifizierung oder auch Zertifizierung für
vernetzte Haushaltsgeräte, Fahrzeuge etc. eingeführt werden.
Das Recht auf Verschlüsselung sowie ein Recht auf Anonymisierung ohne Hintertüren muss
dauerhaft gesichert und ausgebaut werden. Diese Standortvorteile gegenüber USA gilt es zu
bewahren und festzuschreiben, auch und gerade gegenüber staatlichen Stellen. Klare
Zugriffsbeschränkungen deutscher Nachrichtendienste sind zwingend eindeutig zu definieren
und effektiv zu kontrollieren. Wir setzen uns zudem für eine verfassungsrechtliche Einhegung
der Befugnisse der Dienste sowie eine komplette Neuaufstellung der Aufsicht
geheimdienstlicher Tätigkeit ein.
Wir halten zudem ein staatlich finanziertes Programm zur Beratung bei der IT-Sicherheit für
kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) für notwendig. Auch hier bieten die Erfahrungen des
Umweltschutzes mit der Energieberatung gute Anknüpfungspunkte für die weitere Ausgestaltung.
Sicherheitsberatung in die Fläche zu bringen, erhöht nicht nur den Schutz für die
Unternehmen, sondern schützt vor allem die Daten der Millionen Kund*Innen, die bei diesen
Unternehmen vorliegen. Mit diesem dezentralen Netz an IT-Sicherheitsberater*Innen kann auch
eine erste Aufklärung über Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung in den KMUs
stattfinden, und damit das notwendige Umdenken und Überdenken anstoßen.
Datenschutz sichert die Ressource Freiheit
Neben einer lebenslang vermittelten Medienkompetenz, sind Datensouveränität und
Datensicherheit heute wesentliche Bedingungen für ein freies und selbstbestimmtes Leben. Je
mehr der Staat oder Unternehmen über mich wissen, desto unfreier werde ich. Ich verhalte
mich anders, wenn ich weiß, dass ich beobachtet werde und Spuren hinterlasse, über die ich
keine Kontrolle mehr habe. In einer solchen Situation passen wir uns alle an. Die Schere im
Kopf entsteht. Das ist Gift für die Demokratie. Freiheitliche Gesellschaften brauchen
Freiräume, in den sich die Bürger*Innen unbeobachtet ausprobieren und entfalten können. Es
ist nicht nur für jeden schön, auch Geheimnisse haben zu können - für bestimmte Gruppen wie
Journalist*Innen, Ärzt*Innen, Rechtsanwält*Innen und Seelsorger*Innen ist es sogar
essentiell. Eine geschützte Kommunikation muss daher nicht nur Ihnen zwingend ermöglicht und
ausgebaut werden.
Der Staat und einige Unternehmen betreiben daher mit ihrer Datensammelwut Raubbau an der
Ressource Freiheit. Und wie beim Umweltschutz können wir Fehlentwicklungen im Nachhinein
nicht oder nur mit sehr viel größeren Aufwand reparieren. Der „Point-of-no-return“, die
digitale 2-Grad-Grenze naht: Denn wenn meine Daten erst einmal in den Datenbanken großer
Unternehmen und (fremder) Staaten gespeichert, gerastert und zu höchst aussagekräftigen
Profilen verknüpft sind, haben wir die Kontrolle hierüber bereits verloren. Daher müssen wir
jetzt handeln und den immer weiter ausufernden Datensammlungen und einer weitreichenden
Spionage klare rechtliche Grenzen setzen. Die Politik darf den technischen Möglichkeiten und
den durch sie entstehenden Gefahren für den Grundrechtsschutz nicht länger hinterherlaufen,
sondern muss die Digitalisierung und den Schutz privater Kommunikation und
Geschäftsgeheimnissen als vordringliche Herausforderung annehmen.
Als Bürgerrechtspartei liegt es auch in der besonderen Verantwortung der Grünen, die
Bedeutung eines innovativen Datenschutzes als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben auch
und gerade in der digitalen Welt immer wieder zu betonen.
Grundrechte in der digitalen Welt stärken
Wie nötig aber auch der Ausbau bestehender Mechanismen zum Schutz vor unternehmerischer und
geheimdienstlicher Ausspähung ist, halten uns anhaltende Datenskandale, IT-Angriffe auf den
Deutschen Bundestag und andere Institutionen und nicht zuletzt die anhaltenden Enthüllungen
des Whistleblowers Edward Snowden vor Augen.
Der Datenschutz ist es, der einem totalitären Anspruch datensammelnder Unternehmen und
Geheimdienste einen Riegel vorschiebt und verhindert, dass auch der letzte Teil unserer
Privatsphäre verdatet wird. Er verhindert, dass unser aller Leben bis in den letzten Winkel
überwacht, gerastert und profiliert wird. Längst geht es nicht mehr um einzelne Datensätze,
sondern um die Zusammenführung und systematische Analyse aller vorhandenen Daten und
Informationen. Aktuell befinden sich diese Daten oftmals noch verteilt in unterschiedlichen
Datenbanken rund um den Globus. Immer öfter werden sie jedoch von Unternehmen verknüpft und
gerastert. Und staatliche Stellen, das ist die Erkenntnis nach gut zwei Jahren Aufklärung im
Untersuchungsausschuss des Bundestags zur geheimdienstlichen Praxis von NSA und BND,
verschaffen sich auf legalem oder illegalem Weg Zugriff auf sie.
Die skizzierten technologischen Entwicklungen werden uns absehbar auch die kommenden
Jahrzehnte begleiten. Die digitalen Datenmengen, die wir produzieren, verdoppeln sich in
immer kürzeren Intervallen. Und mit ihnen steigen auch die Begehrlichkeiten, an diese
Datenberge heranzukommen, sie zu vermarkten, zu rastern, zu Profilen zu verknüpfen und uns
alle in ein digitales Kastensystem einzusortieren, das im offenen und klaren Widerspruch zu
bestehenden Solidarsystemen steht.
Als Grüne werden wir nicht müde auf diese Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung
der Menschen hinzuweisen. Wir werden nicht müde, die Bundesregierung aufzufordern, sich,
statt den Datenschutz in Frage zu stellen, auch endlich an den für die digitale Gesellschaft
so wichtigen Fragestellungen angemessen zu beteiligen.
Auch die Bundesregierung muss sich fragen, ob bestimmte Geschäftsmodelle mit der
Menschenwürde vereinbar sind, und ob es nicht Grenzen der Überwachung und Ausforschung, und
der Algorithmisierung ganzer Lebensbereiche geben muss. Darüber, ob man monopolartige
Anbieter und Plattformen mit extremen Datenanhäufungen nicht zwingen muss, ihre Algorithmen
ganz oder teilweise offenzulegen, damit Aufsichtsbehörden zumindest eine gewisse Vorstellung
davon bekommen können, welche Daten nach welchen Kriterien zu Profilen verknüpft an Dritte
weiterverkauft werden und ob das bestehende Wettbewerbs- und Kartellrecht nicht angesichts
extremer Datenanhäufungen bei wenigen großen Unternehmen angepasst und fit für das digitale
Zeitalter gemacht werden muss.
Bislang ist der Druck auf die Bundesregierung, sich Überwachung und Ausforschung
entgegenzustellen, nicht sonderlich groß. Das wird sich jedoch ändern: Die tatsächlichen
Auswirkungen der derzeit stattfindenden, allumfassenden Vermessung unseres Lebens werden
viele Menschen erst später spüren, dann aber in voller Härte: Aufgrund der falschen Wohnlage
oder Freunde werden sie keine Kredite und keine Versicherungen mehr bekommen. Ihnen wird die
Einreise in Länder verwehrt werden, weil ein Analyseprogramm die Ironie, die in einem
privaten Online-Chat verwendet wurde, nicht erkannt und sie als potentielle Gefährder
charakterisiert hat, und sie werden erleben, wie ihr eigenes Auto vor Gericht gegen sie
aussagt.
Die Bundesregierung beschäftigt sich mit all diesen Fragen bislang nicht, weil sie weiß,
dass sie selbst höchst ambivalent agiert: Unternehmen verpflichtet man im Rahmen der
anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, die sich gegen 80 Millionen Bürger*innen richtet, neue
Datenberge mit hoch sensiblen Kommunikationsverbindungsdaten anzuhäufen.
Während man Deutschland zum „Verschlüsselungsstandort Nummer eins“ auf der Welt machen will,
sinniert man gleichzeitig über das Verbauen von permanenten Hintertüren in Hard- und
Software, die immer auch Kriminellen offenstehen und betätigt sich als Hehler von
Sicherheitslücken auf dem Schwarzmarkt. Hierdurch gefährdet man die IT-Sicherheit und die
Privatheit von Kommunikation massiv. Sämtliche unserer Vorschläge, beispielsweise
durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen in alle IT-Großprojekte einzuziehen, hat die
Bundesregierung bislang stets abgelehnt. Das rächt sich heute, in Zeiten, in denen
entsprechende Angebote echte Exportschlager wären.
Obwohl bis heute der verfassungskonforme Einsatz von in privateste Lebensbereiche
vordringenden „Staatstrojaner“ zur Infiltrierung computertechnischer Systeme nicht
nachgewiesen werden konnte, hält die Bundesregierung an diesem grundrechtlich hoch
umstrittenen Instrument fest und greift noch immer auf das Know-How höchst zweifelhafter
Firmen zurück, die eine Prüfung der Verfassungskonformität durch Einblick in den Quellcode
der Software mit Hinweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verwehren und ihre mit
deutschem Steuergeld gebaute Technik - durch das Verrücken eines Kommas im Quellcode
aufgetunt - in aller Despotenhände dieser Welt exportieren und dabei helfen, oppositionellen
Protest im Keim zu ersticken und Menschen in Folterkeller zu verbringen.
Der sich aus dem Grundgesetz abzuleitenden Verpflichtung, unsere digitale Infrastrukturen
und private Kommunikation effektiv zu schützen, kommt die Bundesregierung bis heute nicht
nach. Bei der EU-Datenschutzreform hat sie eine unrühmliche Rolle gespielt und die so
wichtige Reform, die einen Meilenstein für den Grundrechtsschutz von mehr als 500 Millionen
Europäer*Innen darstellt, über Jahre ausgebremst und auch hier grundlegende, unseren
Rechtsstaat konstituierende Datenschutzprinzipien wiederholt offen in Frage gestellt.
Wichtige Verbündete für uns sind und bleiben die Datenschutzbeauftragten der Länder und des
Bundes sowie die Verbraucherschutzverbände. Sie nehmen auch schon jetzt eine hervorgehobene
und wichtige Rolle im Datenschutz ein. Eine weitere auch institutionelle Stärkung, so dass
jede oder jeder Datenschutzbeauftragte weisungsfrei die eigenen Aufgaben erfüllen kann, ist
unser Ziel. Wie Grüne stellen sicher, dass die Datenschutzbeauftragten ihrer Rolle auch
gerecht werden können. Das ist gerade etwa mit Blick auf die von der EU geschlossenen
Abkommen zum Datenaustausch bisher nicht der Fall. Wir fordern daher, den
Datenschutzaufsichtsbehörden von Bund und Ländern entsprechend den Vorgaben aus dem Urteil
des EuGH vom 6. Oktober 2015 ein normiertes Klagerecht einzuräumen.
Transparenz ausbauen und Hass und Hetze bekämpfen
Wir wollen die Chancen der Digitalisierung für die Gesellschaft und die staatlichen Prozesse
noch besser nutzen, unsere Demokratie vitalisieren, das Verhältnis von Büger*innen und Staat
reformieren und die Legitimität politischer Entscheidungen erhöhen.
Ein besonders positives Beispiel sind die Transparenzgesetze einiger Bundesländer, die die
Verwaltung verpflichten, eine Vielzahl von Dokumenten und Daten kostenfrei und online zur
Verfügung zu stellen. Hier sind insbesondere Hamburg und Rheinland-Pfalz derzeit an der
Spitze. Private Daten werden in dem Verfahren geschützt, in dem das Informationsregister
grundsätzlich keine personenbezogenen Daten enthalten darf. Ein Transparenzgesetz in diesem
Sinne stärkt die demokratische Teilhabe und das Vertrauen in staatliche
Entscheidungsprozesse. Wir wollen nicht nur auf Bundesebene ein umfassendes
Transparenzgesetz, sondern auch in den Bundesländern, in denen es solche Gesetze bislang
noch nicht gibt und ermutigen alle, daran aktiv mitzuwirken.
Die Pläne des Staates gehen häufig über die bloße Bereitstellung von Informationen hinaus.
Viele Verwaltungsangebote sollen zunehmend online erfolgen. Auch Wirtschaft, Verkehrssysteme
sowie Bildungsnetzwerke sollen weiter digitalisiert werden. Die enormen
Entwicklungspotentiale wollen wir nutzen. Allerdings sind Datenschutz und Datensicherheit
notwendige Voraussetzung für Vertrauen in diese neuen digitalen Angebote. Nur dann werden
die Bürger*Innen die Vorteile der Digitalisierung langfristig annehmen und entsprechende
Angebote unbeschwert nutzen. Das bedeutet, Verfahren und Geschäftsprozesse müssen von Beginn
an so konzipiert, strategisch angeleitet, umgesetzt und praktiziert werden, dass sie der
informationellen Selbstbestimmung und der Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme Rechnung tragen. Prinzipien des Datenschutzes, der
Informationsfreiheit und -sicherheit wie etwa der Gesetzesvorbehalt, die Erforderlichkeit,
die Datenerhebung beim Betroffenen, Privacy by Design und Default, die Zweckbindung der
Daten, Datenvermeidung und -sparsamkeit, Schutzbedarfsfeststellung und Risikoanalyse sowie
Datensicherheit durch technische und organisatorische Maßnahmen sind zwingend zu
berücksichtigen. Die zunehmende Verdatung unseres Alltagslebens führt dazu, dass
umfassendste Datenprofile über uns alle entstehen, die Datensouveränität ist daher zu
stärken und der Trend der allumfassenden Verdatung und Algorithmisierung muss mit Konzepten
der Risikorelevanz und entsprechenden Schutz- und Nicht-Verarbeitungsvorgeben dieser Daten
einhergehen.
Anders als es auf den ersten Blick erscheint, erweitert das Internet nicht nur meine
Möglichkeiten, mich selbstbestimmt zu entwickeln. Teilweise ist das Gegenteil der Fall.
Immer mehr Unternehmen nehmen für sich in Anspruch, vor mir zu wissen, was ich demnächst
kaufen werde, wo ich meinen Urlaub verbringen möchte oder in wen ich mich verlieben könnte.
Algorithmen filtern die unzähligen Angebote für mich heraus. Das ist vielleicht bequem, aber
nicht unbedingt gut für unsere Gesellschaft. Wir müssen Gefahren durch eine intransparente
Beeinflussung des Willensbildungsprozesses durch Hyper Targeting und Big Nudging erkennen,
um darauf auch angemessen reagieren zu können. Dies gilt insbesondere für Werbung im Rahmen
von Wahlkämpfen. Wir Grüne lehnen es ab, einzelne Wählerinnen und Wähler durch die
Ausnutzung von Datenprofilen so genau zu beeinflussen, um auf einen Kern unserer Demokratie,
die freie Wahl, massiven Einfluss zu nehmen. Politisches Targeting gehört reguliert und wir
rufen die anderen Parteien dazu auf, unserer Nichtnutzung zu folgen.
Doch nicht nur die Nutzung und Ausnutzung von Daten über uns beeinflussen unser Handeln,
unsere Kommunikation und soziales Zusammenleben. Wir erleben, wie im digitalen Diskurs eine
Verrohung stattfinden, engagierte Menschen, ganz egal ob Feminist*innen, Politiker*innen,
Ehrenamtliche, Journalist*innen oder Menschen mit Migrationshintergrund werden immer
häufiger angefeindet, beleidigt und bedroht. Die Hoffnung, dass durch das Internet eine neue
Debattenkultur und die Möglichkeiten des freien Wissenszugangs zu mehr Toleranz und
Solidarität führen, wurde leider nicht erfüllt. Stattdessen entstehen derzeit abgeschottete
Räume der selbstreferentiellen Meinungsaustausches. Hate Speech und Hasspropaganda stellen
eine Bedrohung für unsere offene Gesellschaft dar. Einschüchterungen und Straftaten, müssen
mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt werden, außerdem muss zivilgesellschaftliches Engagement im Kampf gegen Hate Speech gestärkt werden. Der Ausweitung der privaten
Rechtsdurchsetzung wiedersprechen wir, stattdessen braucht es einen Ausbau der Kapazitäten und gezielte Schulungen
bei Polizei und Staatsanwaltschaften in diesem Bereich,. Zudem braucht es einfachere Wege solche Inhalte zu
melden und anzuzeigen und eine Bundesregierung die es nicht länger verpasst,
milliardenschwere Unternehmen an ihre gesellschaftliche und rechtliche Verpflichtung zu
erinnern, entsprechende Inhalte konsequent zu überprüfen, zu löschen und an die
Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Aktuell beobachten wir, dass die Zahl rechtsextremer Straftaten zunimmt – erschütternde
Beispiele sind Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und gewaltsame Übergriffe mit
fremdenfeindlichem Hintergrund. Und die Radikalisierung im Internet spielt dabei eine
gewichtige Rolle. Mit allen rechtsstaatlichen Mitteln muss der Staat rechten Terror,
alltäglichen Rassismus und institutionell verankerten Rassismus bekämpfen. Dazu zählt
selbstverständlich auch das Strafrecht. Strafbarkeitslücken bei dem Verbreiten und Verwenden
von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bei Handlungen im
Ausland sind zu schließen und unter Strafe zu stellen. Zudem ist eine stärkere
Berücksichtigung menschenverachtender Beweggründe bei der Strafzumessung gesetzlich zu
verankern.
Dieser Antrag ist in Zusammenarbeit von Till Steffen, Konstantin von Notz, Jan Philipp
Albrecht und Malte Spitz entstanden.
mündlich
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